Ein Zwilling mit Fahrstuhl und Sky-Walk

Neben dem Müggelturm will der Eigentümer noch einen Turm bauen. In diesem soll es barrierefrei nach oben gehen. Die politische Debatte ist eröffnet.
Erstveröffentlichung am 28.03.2019
Kreativität und Tatendrang sind ihm nicht abzusprechen: Matthias Große, seit 2014 Eigentümer des Müggelturm-Areals in den Müggelbergen, hat nicht nur in für Berliner Verhältnisse sensationell kurzer Zeit die beiden Restaurants nebst Sonnenterrassen am Ausflugsturm wieder aufgebaut. Trotz preisintensiver Angebote sind dort vor allem an Wochenenden freie Plätze rar. Jetzt will der Investor noch einen Turm bauen. Einen Turm neben dem Müggelturm.
Schon bald könnten es zwei statt ein Turm sein.
© Berliner Müggelturm UG
Im Doppelgänger soll ein Fahrstuhl eingebaut werden. (Maulbeerblatt berichtete darüber bereits 2014!) Damit sollen alle, die die 126 Stufen auf die knapp 30 Meter hohe Aussichtsplattform des Köpenicker Wahrzeichens nicht aus eigener Kraft schaffen, also Ältere, Behinderte oder Familien mit kleinen Kindern, trotz ihrer körperlichen Einschränkung  die Aussicht genießen können. Der Clou dabei: Vom Zwillingsturm zum Müggelturm soll eine gläserne Passage, ein sogenannter Sky-Walk, führen. Seitdem Investor Große seine Pläne öffentlichkeitswirksam publik machte, ist eine Diskussion entbrannt. Vor allem darüber, wie der Investor seine Pläne durchzusetzen versucht.

Aufzug bei Neubau erlaubt

Denn der Müggelturm, der seit 1961 in seiner heutigen Form in den Müggelbergen steht, ist ein Denkmal. Nichts darf an ihm verändert werden. Ein Außenfahrstuhl, wie von Große geplant, wurde von den Denkmalschutz-Experten abgelehnt. Die Behindertenbeauftragte des Bezirks Treptow-Köpenick setzte schließlich durch, dass man barrierefrei, mit Fahrstühlen, in die Restaurants und auf die Sonnenterrassen gelangt. Von dort hat man in beide Richtungen Wasserblick – auf die Dahme und den Langen See im Südosten sowie auf den Müggelsee im Nordosten. Etliche Bäume im umliegenden Natur- und Landschaftsschutzgebiet der Müggelberge wurden eigens dafür gefällt oder gestutzt. Der Bau der Aufzüge war  nur deshalb möglich, weil die Restaurants neu gebaut wurden. Hätte es nur eine Sanierung bestehender Gebäude gegeben, wären sie wahrscheinlich – wie der Aufzug zum Müggelturm – verboten worden. Schließlich ist das gesamte rund 6.000 Quadratmeter großen Gelände in den naturgeschützten Müggelbergen denkmalgeschützt.

Barrierefreiheit als Druckmittel

„Viele Gäste bedauern, dass sie nicht auf den Turm kommen, den sie noch gut aus ihrer Jugendzeit kennen“, sagt Kerstin Jennes, die Marketing-Beauftragte von Matthias Große. Knapp die Hälfte der aktuellen Müggelturm-Besucher sei mobilitätseingeschränkt. Deshalb versuche man jetzt alles, um Barrierefreiheit bis nach ganz oben zu schaffen. Der zweite Turm, von dessen Spitze aus ein gläserner Übergang zur Aussichtsplattform führen soll, ein sogenannter Sky-Walk, könne von der Terrasse aus gebaut werden, also auf eigenem Gelände. Barrierefreiheit, sagt Kerstin Jennes, sei ein wichtiges  Anliegen in einer alternden Gesellschaft. Was also sei beim Müggelturm wichtiger, fragt sie:
„Dass er so bleibt wie er ist, wovon aber nur die Hälfte der Besucher etwas hat, oder dass er für alle nutzbar gemacht wird?“
Damit setzt Große die Verantwortlichen im Bezirk unter Druck. Denn die Schaffung von Barrierefreiheit gilt generell auch für Denkmale. Das Berliner Denkmalschutzgesetz wurde bereits im Jahr 1999 als damals erstes bundesdeutsches Denkmalschutzgesetz um den Absatz ergänzt, dass die Denkmalbehörden die Belange von Menschen mit Behinderung künftig zu berücksichtigen haben. Dabei geht es nicht um einen schematischen Einbau von Aufzügen oder Rampen, sondern um Kreativität und Qualität. Schließlich sind Denkmale, egal ob Bau-, Boden- oder Gartendenkmale, einzigartige Zeugnisse der Bau- und Kulturgeschichte. In einem Dokument beruft sich das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz, ein Gremium der Bundesregierung, auf eine entsprechende UN-Konvention. Diese fordert, die Teilhabe aller am kulturellen Leben „soweit wie möglich“ zu gewährleisten. Vor allem Gebäude, die der Daseinsvorsorge dienen, also Rathäuser, Schulen oder Schwimmbäder, müssen danach barrierefrei gemacht werden. Eine barrierefreie Burg, heißt es aber auch, sei Utopie. Denn das Wesen einer Burg bestehe ja gerade darin, möglichst viele Barrieren zu schaffen. Um beim Beispiel Burg zu bleiben: Bei der touristischen Erschließung gelte es heute, den ursprünglichen Charakter nicht zu nivellieren. Barrierefreiheit müsse „angemessen“ gehandhabt werden. Was auch bedeuten könne, dass eine barrierefreie Erschließung „bis in die obersten Burgkammern“  manchmal nicht möglich, nicht um jeden Preis zu haben sei. Soweit allgemein die Denkmalexperten des Bundes.

Angemessen und soweit wie möglich

Nach diesen Kriterien müssen jetzt die Verantwortlichen in Treptow-Köpenick über die Pläne des Müggelturm-Besitzers urteilen. Doch bislang ist dies gar nicht möglich.
Denn Großes Pläne sind im Rathaus noch nicht offiziell bekannt!
Der Investor hat sie bislang nur über diverse Zeitungen und bei einem Besuchertreffen im Turmrestaurant vorgestellt. Auch den damaligen Architekten des Müggelturms, inzwischen 87 Jahre alt, hat er mit Überzeugungskraft auf seine Seite gebracht. Entsprechend genervt reagiert man im Bezirksamt auf Anfragen, wie man es dort mit der Planung halte. Bislang kenne man im Bezirksamt nur die in der Presse veröffentlichten Bilder, heißt es in einer ungewohnt schroffen Erklärung. Es lägen keinerlei Baupläne im Entwurfsstadium, geschweige denn ein konkreter Bauantrag vor.
Grundsätzlich könne das Bezirksamt Bauvorhaben nur anhand von belastbaren Planungsunterlagen beurteilen.
Die barrierefreie Erschließung von möglichst vielen Orten im Bezirk sei ein wichtiges Ziel des Bezirksamtes. Sie könne aber nur unter Beachtung anderer öffentlicher Belange umgesetzt werden. Anhand einiger weniger Computersimulationen könne diese städtebauliche, denkmal- und naturschutzrechtliche Herausforderung  nicht beurteilt werden.

Politiker im Für und Wider

Dass Matthias Große die Öffentlichkeit einspannt, um Entscheidungen zu seinen Gunsten erzwingen zu wollen, ist nicht neu. Als er die Baugenehmigung für die Müggelturm-Sanierung nicht so schnell bekam wie erhofft, veröffentlichte er kurzerhand die Telefonnummer eines Mitarbeiters im Rathaus, bei dem man sich beschweren solle. Dass Große selbst bzw. seine Architekten Schuld an der Verzögerung trugen, weil sie nicht bedacht hatten, dass für die Erschließung zusätzliches Gelände vom Land Berlin aufgekauft werden musste, was viel Zeit kostete, spielte da keine Rolle. Ganz nach dem Motto „Schuld sind immer diejenigen, die mich behindern“. Große sei eben „sehr speziell“, heißt es seither im Bezirksamt. Offenkundig, so der Köpenicker FDP-Abgeordnete Stefan Förster, lasse man sich im Bezirksamt gern „von Herrn Große vorführen.“ Er, Förster, könne sich nicht vorstellen, dass ein Zwillingsturm baurechtlich, vor allem aber naturschutzrechtlich möglich sei. Denn ringsum sei Wald, dort dürfe gar nicht neu gebaut werden. Barrierefreiheit sei ein hohes Gut, das vielerorts umgesetzt werde. Die aber eben nicht überall zu haben sei: So sei auch die Siegessäule mit der Goldelse im Tiergarten nicht barrierefrei, weil der Eingriff in das einzigartige Denkmal zu groß sei. Auch der denkmalgeschützte Peter-Behrens-Turm in Oberschöneweide sei nicht barrierefrei. Förster ist Vorsitzender des Bezirksdenkmalrates, eines mit seiner Expertise wichtiges Beratungsgremiums für Denkmalangelegenheiten.
Die Müggel-Twin-Towers
© Berliner Müggelturm UG
SPD und Linke im Bezirk wollen ausloten, was beim Zugang zum Müggelturm möglich ist. Beide Fraktionen, die in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) kooperieren, fordern aktuell das Bezirksamt auf, eine barrierearme Erschließung des Müggelturms zu unterstützen – natürlich unter Beachtung des Denkmalschutzes, wie es in einem Antrag heißt. Gabriele Schmitz von der SPD sagt, man wolle damit bewusst  keine Lösung unterstützen, auch die des Investors nicht. Man verstehe sich nicht als „Handlanger von Matthias Große“. Aber die Belange der UN-Behindertenrechtskonvention seien beim Müggelturm nicht berücksichtigt.
„Ob oder wie eine barrierearme Erschließung möglich ist, das müssen Fachleute sagen.“
Der Müggelturm sei ein touristisches Highlight Berlins und sollte daher barrierearm sein, zumal der Eigentümer die entsprechenden Kosten übernehmen wolle. Dies hatte Große zugesichert; für den Bau des Zwillingsturms veranschlagt der Untenehmer eine höhere sechsstellige Summe. Dass Große vor allem über die Öffentlichkeit Druck auf die Entscheidungsträger macht, ärgert vor allem den Kooperationspartner der SPD. Uwe Doering von den Linken sagt, es würden zwar öffentlich Vorschläge und Entwürfe diskutiert und von der Politik verlangt, dass sie sich positioniere.
„Aber es gibt gar keine Grundlage, auf der wir uns verhalten können.“
Dazu müsse Matthias Große erst mal mit den zuständigen Ämtern kommunizieren und entsprechende Anträge stellen. Mit einem positiven Bescheid der Denkmalbehörden rechne man nicht, so Doering. Aber mit dem Antrag wolle man schlicht ein Signal senden: Es soll deutlich werden, dass der Gedanke eines barrierearmen Zugangs zum Müggelturm unterstützt wird.

Eine Bar im Zwillingsturm?

Die Grünen in der BVV lehnen den Antrag von SPD und Linken ab. Nicht, weil sie gegen Barrierefreiheit wären, wie Fraktionschef Jacob Zellmer sagt: „Wir können aber nichts pauschal unterstützen, von dem wir gar nicht wissen, was es ist und ob es realisierbar ist.“ Es werde ein falsches Signal ausgesendet:
„Der Investor meint, wer am lautesten schreit, bekommt, was er will.“
Man dürfe sich aber nicht von Skizzen und Photoshop-Bildchen treiben lassen, sondern müsse anhand von Fakten urteilen. Der Müggelturm im sensiblen Waldgebiet der Müggelberge, so Zellmer, dürfe zudem nicht zum touristischen Hotspot mit Besuchermassen werden, möglicherweise gar mit noch einem Restaurant ganz oben im zweiten Turm. Ein solches Restaurant sei gar nicht geplant, heißt es im Büro von Matthias Große. Zwar wäre die Idee einer solchen „Sky-Bar“ im Zwillingsturm eine „Eins-A-Idee für Köpenick“, so die Marketing-Beauftragte Kerstin Jennes. Aber wahrscheinlich würde der Platz dafür gar nicht ausreichen: Das Rangieren von Rollstühlen, Rollatoren und Kinderwagen nehme erheblichen Raum ein. Und überhaupt: Man sei mit den konkreten Planungen noch gar nicht so weit. Derzeit arbeiten die Architekten an den Bauunterlagen für den Zwillingsturm. Jennes: „Damit die Verantwortlichen im Bezirksamt was zum Ansehen haben.“  

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