The Return of the Frühlingshasser – II

kaiIch bin seit über 20 Jahren leidenschaftlicher Müggelheimer. Nicht nur an den Wochenenden, sondern auch gern mal monatelang und wochentagsübergreifend verschanze ich mich in einer kleinen Laube mitten im Sumpf-und Naturschutzgebiet zwischen kleinem Müggelsee und der relativ unbekannten Siedlung Schönhorst. Hier gibt es nichts. Also nichts, was zivilisatorisch erwähnenswert wäre. Außer Mücken und anderen Tieren. Und Mücken. Wenn man aus meiner kleinen Laube aus dem Fenster guckt, sieht man kopulierende Eichhörnchen, die sich gar drollig von Baum zu Baum balzen, den Waldboden aufwühlende Wildschweine (sie erinnern mich immer an die Fatzkes, die beim Zoll meine Unterwäsche nach Drogen durchsuchen), allerlei gefiederte Zeitgenossen, die sich um Kopf und Kragen trällern, und – natürlich – Mücken. Außerdem sieht man, durch knorrige Birken hindurch, einen kleinen Weg, der an einer Sumpfwiese und vereinzelten Kleingartenparzellen vorbei ins Nichts führt. Dieser Weg ist für sich genommen nahezu unerwähnenswert, denn außer von einigen Laubenbesitzern wird er quasi nicht benutzt. Das ändert sich im Frühling. Denn sobald es warm wird, ziehen genau diese unbedeutenden Waldwege, die ins Nichts führen, ambitionierte Mountainbiker magisch an. Selbstredend möchte man nämlich seinen Zwei- Stunden-Survival-Urlaub im Köpenicker Umland auch adäquat nutzen und tüchtig was erleben. Deshalb schwärmen sie aus und verlassen – einem inneren Drang nach Freiheit und Abenteuer folgend – die asphaltierten Straßen, die die Wälder entzweireißen, die Adern der Zivilisation, die Pfade, die sie schnurstracks zu McDonalds führen. Dann passiert es…in regelmäßigen Abständen, eigentlich halbstündlich, dass ich auf meiner Hollywoodschaukel im Niemandsland sitze und mir die Klöten sonne, während Niemands- land zu Abenteuerland mutiert. Die Gallionsfiguren dieser Zeitenwende tragen Neoprenanzüge und Spiegel- sonnenbrillen mit kopfumschließendem Gummiband. Sie haben durchtrainierte Waden, Sportlerschwitze auf der Stirn und meist gelbe Plastikflaschen mit isotonischen Durstlöschern in der Hand.Sie haben in ihrer Fitness-Studio-Clique sicherlich Spitznamen wie Hantel-Horst oder Marathon-Martin, tragen Pulsmesser von Zeiss und in ihren wasserdichten Satteltaschen wachsen Bananenstauden mit Chiquita-Gütesiegel. Auf ihre Fahrradlenker sind komplizierte Landkarten- halterungen mit patentiertem Nachtlicht montiert und auch sonst sind sie Maschinen mit Haut. Aber sie sind zu blöde zu kapieren, dass der kleine Weg an meiner Laube vorbei entweder deshalb nicht auf ihren Karten verzeichnet wurde, weil er eine Sackgasse ist, oder sie hoffen, dass sie am Ende eine Herausforderung erwartet, der sie sich unbedingt stellen müssen. Und in gewisser Hinsicht stimmt das sogar. Denn da bin ja ich und sonne mir die Klöten! Wie im Vorgänger dieser Kolumne bereits erwähnt, mache ich das am liebsten in Ruhe. Letzten Sonntag, es war einer dieser ersten wirklich warmen Tage des Jahres, wurde die Vollidioten- Saison mit einem besonderen Prachtexemplar eröffnet. Ich sitze da, sonne und lass baumeln, da höre ich das typische Geräusch einer Schaltung. Bevor ich mir ein entsprechend großes Laken vor die Tröte ziehen kann, höre ich ihn schon rufen: „Hey, kannste mir sagen, wo es dahinten lang geht?“ Ich frage, mittlerweile notdürftig verhüllt, zurück: „Du meinst da, wo das Sackgassenschild steht?“ Er nickt. Ich sage: „Warte mal kurz“, und gehe in den Schuppen. Dort hol ich mir ein Gerät, das ich bisher eher zu Schmuckzwecken herumstehen hatte, und laufe damit auf den Zaun zu. In Richtung meines ungebetenen Gastes. Das Laken lasse ich dafür im Schuppen zurück. Seltsamerweise tritt Biker-Bernd in die Pedalen, als er mich so sieht und saust in die Richtung davon, aus der er gekommen ist. Wortlos – und sehr schnell. Auf dem Weg zurück zur Hollywoodschaukel sehe ich mich selbst kurz in der Fensterscheibe der Laube und ein wohliger Schauer durchfährt mich. Ich finde, die Mistgabel in meiner rechten Hand passt zu meinem Teint. Besonders unten. Ich hoffe nur, das spricht sich rum, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass ich den Sommer bald noch mehr hasse als den Frühling!

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